Nun wird es Zeit, der Hauptperson meiner Geschichten einen Namen zu geben. Ich nenne ihn ab jetzt den Gwunderi. Du wirst mir sicher zustimmen, dass das für einen viereinhalb Jahre alten Knirps ein treffender Name ist. Ich habe weder vor, chronologisch über seine Abenteuer zu berichten, noch, falls er tatsächlich gelebt haben sollte, ihn bei seinem richtigen Namen zu nennen. Damit du also immer weisst, von wem ich rede, ist er auch mit kleinen Beinchen und Füsschen schon mein Gwunderi.
Er hatte früh beschlossen, den Sachen auf den Grund zu gehen und wie schon gesagt, den Rest der Welt zu entdecken und zu erobern.
Der Rest der Welt bestand zunächst einmal aus dem Dörflein, wo der Kleine und seine Familie wohnten. Es lag in einer Schleife des steinigen Baches, zwischen zwei Brücken mit soliden Geländern. Es bestand aus sechs Wohnhäusern, der Sägerei des Grossvaters und dem Spritzenhaus mit Uhr und Glocke. Ennet der hinteren Brücke stand die Scheune mit Mutters Geissenstall und dem Heustock für den Winter. Jenseits der vorderen Brücke waren die Bretter aus Grossvaters Sägerei sorgfältig zum Trocknen aufgeschichtet. Getrennt durch kleine Stäbe lagen da wieder die ganzen Tannen, einfach mit Luft dazwischen. Mit dem Rolli konnte er die gesägten Baumstämme über das Geleise, das hoch über dem Bach auf einer Holzkonstruktion befestigt war, zum Holzlager transportieren.
Die Naturstrasse, die zwischen den beiden Brücken in einer sanften Kurve mitten durchs Dorf führte, war meist frei von Verkehr. Am Morgen und am Abend die fünf oder sechs Kühe des Nachbars. Am Abend der Peugeot-Pickup des Käsers, der laut hupte, die Milch abholte, verkaufte und den grössten Teil zum Verkäsen nach Hause fuhr. Manchmal ein Pferdefuhrwerk mit Säcken voll Hühnerfutter, der Volvo des Tierarztes oder der Lastwagen eines Händlers der Gemüse und Früchte anbot. Oder der Heiri, der mit dem einrädrigen Graskarren das Futter für seine Kaninchen nach Hause fuhr.
Der kleine Welt-Eroberer war inzwischen viereinhalb Jahre alt geworden. Am Bach unter der Brücke versuchte er das Wasser umzuleiten, indem er von Hand grössere Steine umschichtete und mit einem Stecken einen Graben durch die kleinen runden Kiesel zog. Er war vollständig in seine Arbeit vertieft, als ihn ein Stein auf dem Kopf traf. Oben auf der Brücke stand der kleine Bruder und schaute zu ihm hinunter. Es war kein kleiner Stein gewesen, auch kein grosser, ein anständiger halt. Es hätte auch ein grösserer sein können. Das hätte sehr gefährlich sein können. Das war eine Gemeinheit des kleinen Bruders gegen ihn. Soviel wurde ihm klar.
Ihm war auch klar, dass die Mutter den kleinen Bruder in Schutz nehmen würde, wenn er ihn zum Weinen brachte. Und er würde täderlen. Und dann bekam er Schimpfis oder Schlimmeres. Er überlegte und da er beobachtet hatte, dass sein grösserer Bruder, der bereits in die Schule ging, sich schon manchmal über den Kleinen geärgert hatte: “Er macht mir immer alles kaputt!”, lief er zum grossen Bruder und klagte über den kleinen: “Er hat mir extra einen Stein auf den Kopf fallen lassen!”. Wie geplant, nutzte der Grosse die Gelegenheit und haute dem Kleinen eins, der rannte weinend zur Mutter: “Er hat mich gehauen!”.
Der Grosse bekam Schimpfis und eine Flatter und bezog so die Strafe dafür, dass er schon grösser und trotzdem noch nicht vernünftig war.
Du siehst, dass nicht immer für alle etwas Gutes dabei herauskommt, wenn einer nachgedacht hat. Das Böse ist ein Kind des Rechnens und Denkens und von Eigennutz und Feigheit noch dazu.
Bis zum heutigen Tag hat der Gwunderi diese Episode nicht vergessen und ist nach und nach zur Überzeugung gelangt, das die wahre Gemeinheit sein feiger Plan und nicht die unschuldige Tat des Kleinen gewesen war.
Weil uns hier das Böse leicht gestreift hat, habe ich gegoogelt und mir selbst ein paar Gedanken über das Böse gemacht:
Das Böse ist zuallererst einmal ein Wort. Althochdeutsch: bôsi von germanisch: bausja. Sein Klang ruft in uns sofort eine erhöhte Aufmerksamkeit hervor. Es warnt: Pass auf! Das ist nicht gut! Das ist schlecht! Das ist falsch! Es kann etwas passieren, was du nicht willst. Tu das nicht. Lass die Finger davon. Es weckt Erinnerungen an schlechte Gefühle, an erlittene Qualen, an schon erlebte Schrecken und Strafen.
Das Böse ist übel und schlecht aber schlechtes oder übles muss nicht böse sein. Eine schlechte Ernte ist nicht böse. Eine üble Angewohnheit muss nicht böse sein. Werwölfe, Vampire, und Dämonen sind nur Symbole für das Böse. Einzig die Taten von Menschen können böse sein. Was du nicht willst, das man dir tu, das füg’ auch keinem anderen zu.
Naja soo böse war die Gemeinheit des kleinen Gwunderi nun auch wieder nicht. Aber gemein war das schon. Wir werden sehen, wieviel Macht der Teufel bei anderen Gelegenheiten über unseren Helden noch bekommt.