Der Totentanz

Der Tod an alle:
Zu diesem Tanz‘ ruf ich gemein
All Volks und alle Wesen,
Arme, reiche, gross und klein,
Kommt, lasst sie uns verlesen.
Man dachte wohl zu aller Zeit,
Gut Wirken braucht’s im Ranzen,
Dann wär‘ man jederzeit bereit,
Nach meiner Pfeiff‘ zu tanzen.

Der Tod:
Herr Papst, du bist der höchste nu‘,
Tanzen wir beide, ich wie du.
An Gottes Platz bist du gestanden,
Ird’scher, den Ehr‘ und Würde banden.
Von aller Welt, musst du trennen dich,
Mir folgen und so werden wie ich.
Wirst allem ledig, was du bist und hast,
Der Hoheit wirst du nun ein Gast.

Der Papst:
So höret meinen Kommentar,
Ich, als der Höchste, der ich war,
Soll nun genau dasselbe werden,
Wie du, als schlimmste Plag‘ auf Erden?
Nicht Würd‘ noch Reichtum hätten Glanz,
Wenn alle Ding‘ verwehrt mir ganz.
Nehmt mich als Beispiel, die ihr seid,
Papst, der ich war, zu meiner Zeit!

Der Tod:
Mir ist noch keiner je entkommen,
Du hast das höchste Amt erklommen.
Die Macht hat dich erblinden lassen,
So konntest du nicht mehr erfassen,
Die vielen Seelen, die dich nährten,
Um Gottes Gnade nur begehrten.
Sie war’n dir nichts als Wanzen.

Herr Kaiser, lass uns tanzen!

Der Kaiser:
Oh Tod, deine arg klapprige Figur,
Geht gänzlich gegen die Natur.
Ich war so mächtig und so reich,
Und nicht einer war mir gleich.
Könige, Fürsten und Herren,
Mussten sich beugen, mich ehren.
Jetzt kommst du auf grausige Weis‘,
Mich werfen den Würmern zur Speis‘.

Der Tod:
Du warst erkoren zu beschützen,
Zu beschirmen und zu stützen,
Die heiligen Kirchen der Christenheit,
Mit dem Schwerte der Gerechtigkeit.
Die Hoffahrt hat dich wohl verblendet,
So hat das Blatt sich nun gewendet,
Von mir kommt’s nicht nach deinem Sinn.

Du komm jetzt her, Frau Kaiserin!

Die Kaiserin:
Ich glaub‘, mich meint der Tod!
Das bringt mich bös in Not!
Was kommt dir in den Sinn,
Bin jung und Kaiserin.
Ich meint‘, ich hätt‘ viel Macht,
Hab‘ nie an dich gedacht.
Aus Versehn‘ nur nimmst du mich mit,
Ach, lass mich doch leben, ich bitt‘!

Der Tod:
Kaiserin sei nicht vermessen,
Mich dünkt, du habest mich vergessen.
Komm herbei, es ist an der Zeit,
Du meinst wohl, du wärest befreit?
Nein! Wehrst du dich auch noch so viel,
Du machst doch mit bei diesem Spiel,
Und auch die anderen Grössen all.

Heran, folgt mir, Herr Kardial!

Der Kardinal:
Erbarm‘ dich, Herr, lass‘ mich zieh’n,
Ich weiss, ich kann nicht entflieh’n,
Blick‘ ich auch vor und hinter mich,
Auf allen Seiten seh‘ ich dich.
Wie tat der hohe Stand mir passen,
Den ich besass, ich muss ihn lassen.
Und werd‘ unwürdiger zur Stund,
Als wie ein räud’ger, stinkender Hund.

Der Tod:
Du wurd’st in den Stand gehoben,
Die Apostel des Herrn zu loben,
Den christlichen Glauben zu stärken,
Mit Worten und guten Werken.
Du bist mit hoffärtigen Sitten,
Auf höchsten Rössern geritten,
Drum musst du dich sorgen nun sehr.

Nun bringt mir den König her!

Der König:
Oh Tod, du verwirrst mich ganz,
Ich kenne nicht diesen Tanz,
Herzöge, Ritter und Knechte,
Erstarren vor meinem Rechte.
So manchen wüsten Berserker,
Liess werfen ich in den Kerker.
Du kommst, dem Feinde gleich,
Und raubst mein ganzes Reich.

Der Tod:
Deine Felder wurden bestellt,
Brachten dir Berge von Geld.
Was hilft’s? Du musst in den Staub,
Dein Hab‘ und Gut ich dir raub‘.
Mit Tücke und mit Ränken,
Tatst du dein Volk beschenken.
Sie war’n dir einerlei!

Holt mir den Arzt herbei!

Der Arzt:
Hab Vorsprung wohl, ist’s gewesen,
Weil viel‘ Menschen ich genesen?
Ob gross‘ Seuchen sie litten Not,
Und viele andere sah’n den Tod.
Da half nicht Kunst noch Arzenei’n,
Zu lindern die schreckliche Pein.
Nun hat der Tod mich erblickt,
Welch Urteil nun er mir wohl schickt?

Der Tod:
Gerechtes Urteil sollst du bekommen,
Nach dem, was du hast unternommen.
Du hast getan, was Gott gefällt,
Viel miterlebt in dieser Welt.
Den Armen hast du nicht geschadet,
Sie in reinem Wasser gebadet.
Für wenig Lohn hast du’s getan.

Wucherer, folge von Stunde an!

Der Wucherer:
Oh du aller unerwünschtester Tod,
An dich zu denken hatt‘ ich nicht Not.
Ich hab mein Hab‘ und Gut versteckt,
Die Speicher sind gefüllt perfekt.
Muss ich nun sterben, und sogar,
Muss lassen hier all‘ meine War‘,
Weiss nicht, wohin ich kommen soll!
Erbarm dich, Herr, ich zahl‘ den Zoll!

Der Tod:
Verkehrter Tor mit geschlitzten Ohren,
Nichts anderes hast du auserkoren,
Als all‘ die Güter dieser Erden!
Ich weiss nicht, was mit dir soll werden.
Auf mich, da hatt’st du keine Acht,
Auch nicht der Sterbenden gedacht.
Nun musst du in das andere Land.

Herr Kaplan reiche mir die Hand!

Der Kaplan:
Ach leider, mich quält grosse Not!
Viel Sündenlast bring ich zum Tod.
Im Schlafe hat er mich gefunden,
Ich fürchte, Gott wird’s wohl erkunden,
Durch Schlemmerei, Wein, Weib, Gesang,
Mein Geist getrübt wohl jahrelang.
Was helfet mir nun der Genuss,
Wenn ich die Welt verlassen muss.

Der Tod:
Hast von Jugend an du gebet‘,
Recht vor deine Augen gesät,
Den Verlorenen Trost gespendet,
Hast viele Worte verwendet,
Die manche zu Gott bekehrt.
Das war gut! Du bist es wert,
Es sei drum, musst mich begleiten.

Kaufmann, dich will ich reiten!

Der Kaufmann:
Es ist mir fern, bereit zu sein,
Ich hatt‘ Erfolg und viele Pein,
Sowohl zu Lande als zur See,
Durch Wetter, Regen, Wind und Schnee.
Doch meine Bücher sind noch offen,
Könnt‘ ich bald auf Abschluss hoffen,
Wär‘ endlich dann mein Werk gescheh’n,
Und ich würd‘ fröhlich mit dir geh’n.

Der Tod:
Hast du anderes nicht begehrt,
Als das, was dir gehört,
Dann bist du in Vollkommenheit,
Wenn wird gerichtet weit und breit.
Hast du dein Buch geschlossen,
Dann sei nur unverdrossen.
Ist’s anders, ist’s nicht gut!

Handwerker, nimm den Hut!

Der Handwerker:
Oh weh, was soll mit mir gescheh’n,
Schlecht habe ich mich vorgeseh’n,
Und hab‘ nur drüber nachgedacht,
Was gut sich für mein Handwerk macht,
Was gut für meine Arbeit wär‘.
Nun bitte ich dich lieber Herr,
Mir meine Sünden zu vergeben,
Und lass mich ein ins ew’ge Leben.

Der Tod:
Handwerker tun im Allgemeinen,
Der Dinge achten, auch der kleinen.
Wo andere sich schrecklich mühen,
Kann ihre gute Kunst erblühen.
Ans Sterben mögen sie nicht denken,
Der Dinge Wege woll’n sie lenken,
Das machet ihre Seelen schwer.

Klausner komme du daher!

Der Klausner:
Zu sterben täte mir kein Leid,
Wär‘ meine Seele nur bereit,
Wär nur der schlechte Sinn verjagt,
Mein schwaches Fleisch hat mich geplagt.
Erbarm dich, Herr, und höre bloss,
Viel Zweifel war mein schweres Los,
Bekenn‘ dir alles bis zum Grund,
Sei gnädig mir zur letzten Stund.

Der Tod:
Du magst wohl singen engelgleich,
Dich hört sogar das Himmelreich.
Die Arbeit, die du hast gemacht,
Hat deiner Seel‘ Gewinn gebracht.
Wenn jedermann sich gleich benommen,
Viel Übel wäre nicht gekommen,
Und war das Leben noch so sauer.

Komm in meinen Reigen, Bauer!

Der Bauer:
Dieser Tanz ist mir willkommen,
Hab‘ mir alle Zeit genommen,
und mit Arbeit zugebracht.
Denn, ich dachte Tag und Nacht,
Wie mein Land ich soll bestellen,
Dass die Ernten überquellen.
Hatt‘ zu bezahlen meine Pacht,
An dich hab‘ ich nicht gedacht.

Der Tod:
Grosse Arbeit hast vollbracht,
So dass Gott dich nicht veracht,
Mit deiner Mühe und der Not,
Zufrieden ist der liebe Gott.
Er zollt dir seinen grossen Dank,
Mit viel Freude, Speis und Trank,
So fürchte nicht ein Ding.
Tritt zu mir her, Jüngling!

Der Jüngling:

Der Welten Lauf für mich nur zählt,
Du hast wohl die Zeit verfehlt,
Bist mich schleichend angegangen,
Tust in deinem Netz mich fangen.
Die weite Welt mir harret,
Die kleine Welt verscharret.
Geh‘ weiter, lass dich belehren,
Soll das Alter mich bekehren.

Der Tod:
In der Nacht mit schwerem Gang,
Streiche ich dem Strand entlang,
Den jungen Mann bei Ebb‘ und Flut,
Die Lebenslust bestürmen tut.
Hier ist keine gute Stätte,
Wo er noch zu bleiben hätte,
So hält er besser bei mir inne.

Jungfrau, mit mir den Tanz beginne!

Die Jungfrau:
Dein Reigen macht mir keine Freud,
Ich junge, frohe, hübsche Maid,
Mich hat erfreut der Welten Lust,
Von deiner Ankunft nichts gewusst.
Jetzt lockst du schnelle mich zu dir,
Hab‘ nicht gemerkt, dass du schon hier,
Nur wenn ich Klosterfrau geworden,
Dann trät ich gern in deinen Orden.

Der Tod:
Ich mache keinen Unterschied,
Ist’s an der Zeit, musst du ins Glied.
Ich bin nun nicht der hübsche Franz,
Du tanzt mit mir den letzten Tanz,
Am Leben hast du kaum gerochen,
Und schon sind deine Träum‘ zerbrochen,
Mit schweren Tüchern werfe ich.

Mein kleinstes Kind, nun hol‘ ich dich.

Das Kind:
Oh Tod, wie soll ich das versteh’n,
Wie soll ich tanzen, kann noch nicht geh’n.

Der Tod an alle:
So geh‘ ich denn in and’re Zeiten,
Die Kunde weiter zu verbreiten,
Dass nach dem Leben folgt der Tod.
Wer nicht bedacht, dass alles endet,
Der hat seine Zeit verschwendet,
Hat angehäuft, was wird vergeh’n,
Und nichts getan, was bleibt besteh’n.
Und nun sag‘ ich auf wiederseh’n.

Frei nach dem unvollständigen Lübecker Totentanz von 1463

4 thoughts on “Der Totentanz”

  1. Wer ist der Verseschmied?
    Ein beachtliches Stück Knittelverse, das mir in dieser Form bisher unbekannt war, das Thema an sich schon.

  2. Das war ja eine „Heidenbüez“. Chapeau!
    Ich habe zum Thema „Tod“ ein kürzeres Zitat von Epiktet:
    „Der Tod an sich ist nicht Schreckliches. Nur die Meinung von dem Tode, dass er etwas Schreckliches sei, das ist das Schreckliche.“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert