Als kleiner Bub war ich fasziniert davon, wie Robert Lips seinen Helden zum Leben erweckt hat. Die Kinder öffnen beim schlafenden Seemann eine Schachtel, darin liegt eine Feder, die fliegt von selbst zur Staffelei und zeichnet, wie von Geisterhand geführt, den Globi. Die Kinder wecken den Seemann auf und der träufelt ein geheimnisvolles Lebenselixier auf die fertige Zeichnung, worauf Globi aus dem Papier in die Welt tritt und sich wundert.
Und deshalb beginnt die Geschichte meines Helden nun auch ganz am Anfang. Sicher bist auch du der Meinung, dass man nicht immer bei Adam und Eva beginnen soll. Diese Geschichte beginnt noch viel vorher, quasi am Anfang vom Anfang vom Anfang …
… Es war tiefe, stille, dunkle, schwarze Nacht. Das Nichts war überall und überall war das Nichts. Es hatte keinen Anfang und kein Ende. Es hatte keinen Körper und keine Seele. Es war alles und nichts. Es war nicht fest, nicht flüssig, nicht gasförmig und nicht plasmatisch. Das Nichts war da und herrschte über sich selbst. Es wusste nichts. Es wollte nichts. Es hatte nichts. Es konnte nichts. So war es immer gewesen und so würde es immer sein …
War das jetzt so schlimm? Vielleicht weisst du nicht was „plasmatisch“ bedeutet. Ich weiss das auch erst seit heute: Es ist ein vierter Aggregatszustand. Unsere liebe Sonne zum Beispiel, sie ist weder fest noch flüssig noch gasförmig, aber eben plasmatisch.
Und jetzt nimmt die Geschichte eine überraschende Wendung:
Doch – da war etwas. Es war eins. Das Nichts zog sich zurück. Ein Puls war da. Es war Leben. Es war sein Leben. Es nahm Bewegung war. Veränderung. Jeder Pulsschlag war anders. Wogen kamen und gingen. Es begann mit den Wellen zu fliessen. Die Wogen zu ahnen. Zu vergleichen. Es wurde. Es wuchs. Es war eins und doch nicht allein. Ausser ihm gab es noch eins. Da drin zu sein war gut. Es horchte, es träumte, es bewegte sich. Es wurde grösser und schwerer. Es konnte tasten und strampeln. Das Aussen wurde enger. Es wurde Zeit. Es war soweit. Es musste hinaus. Aber da war kein Ausgang, es lag verkehrt herum.
Unter grosser Anstrengung drehte es sich. Auch das Aussen wollte, dass es heraus kam. Beide wollten es. Alles wollte es. Das Tor war eng und öffnete sich nicht von selbst. Es brauchte Zeit und Willen und Kraft. Nach vielen Anläufen blieb es stecken. Es ging weder vor noch zurück und grosse Angst packte seine Seele. Wenn die Grenze des Ertragbaren überschritten würde, würde es sterben und das Nichts würde zurückkehren. Dann gab die Pforte endlich nach und alles war plötzlich hell und laut und kalt und neu. Dann lag das Neugeborene bei seiner Mutter, die auch erschöpft und glücklich war.
So war das Menschlein auf die Welt gekommen, auf der seine Mutter schon eine Weile gelebt hatte. Gerade hatte ein schrecklicher Krieg alles Leben bedroht. Er hatte sich nun in die Ferne verzogen und es galt wieder aufzubauen, was er zerstört hatte. Aber Kinder waren Hoffnung und gaben neue Kraft und so wurde der Kleine willkommen geheissen in einer Welt, die aus Ängsten, Hoffnungen, Traditionen, Fleiss und Arbeit bestand.
Der Kleine genoss die Nähe seiner vertrauten Mutter, wenn sie bei ihm war. Er lebte im Spiel von Lichtern, Schatten und Geräuschen. Er nahm in den Mund, was er zu fassen bekam und am liebsten war ihm die Mutterbrust. Wenn das Nichts zurückkommen wollte schrie er so laut er konnte, bis die Mutter kam oder er vor Erschöpfung einschlief. Er spürte, dass er ein Ereignis war, dass man ihn wollte und ihm gut gesinnt war. Vogelgezwitscher, Holztreppenknarren, Türenquietschen, Kindergetrappel, Miauen, Brunnengeplätscher, Ziegengemecker, Rufe und Glockengeläute tönten vertraut in seine von Vorhängen, Decken, Kissen und Windeln umgebene Welt.
Er lernte den grösseren Bruder und seinen noch viel grösseren Vater kennen. Der warf ihn manchmal hoch in die Luft und fing ihn lachend wieder auf. Dann quietschte er vor Vergnügen. Es kam der erste Winter und statt Vogelgezwitscher kamen Krähengekrächze, Ofengescharre, Schneeschaufelgeknatter, Gesang und Klavierklänge. Wenn der Vater zuhause war, baute er im Estrich an der elektrischen Eisenbahn. Die Mutter kochte, putzte, nähte, strickte, heizte und fütterte ihre Kinder und Ziegen.
Die Welt des Kleinen wurde immer grösser. Er trohnte jetzt am Tisch auf dem Hochstuhl mit dem eingebauten Tablar für das Häfeli und dem Loch in der Sitzfläche. Von hier aus versuchte er zum ersten Mal die Weltherrschaft zu erlangen. Das misslang aber gründlich, da man dem kleinen Hosenscheisser zu wenig Respekt entgegenbrachte. Zuerst war er beleidigt, aber nur für kurze Zeit. Dann verschob er die Machtübernahme auf später und beschränkte sich darauf die Verhältnisse zu studieren. Er eiferte seinem grösseren Bruder nach, der ihm weit überlegen und den zu überflügeln sein erstes Ziel war.
Bald geriet die ganze Welt für eine Weile völlig aus dem Gleis und dann war ein kleines Brüderlein da, um welches sich die Mutter von nun an am meisten kümmerte. Damit war der Zweijährige kampflos und ohne Anstrengung eine Stufe aufgestiegen und das war ein gutes Gefühl. Dadurch, dass die Mutter viel mit dem Kleinsten beschäftigt war und weil er selbst schon gehen und sprechen konnte, war es höchste Zeit, zusammen mit seinem grösseren Bruder den Rest der Welt zu entdecken und erobern.
Wie du sehen kannst, hatte der Kleine keinen schlechten Start. Das war aber nur der Anfang, viele kleinere und grössere Freuden und Leiden warteten nur darauf ihn in ihre Fänge zu nehmen. Davon berichte ich dann das nächste Mal.
Bravo das hast du gut gemacht, es gefällt mir sehr gut. Mach weiter so. 🙂
…das macht an zum weiterlesen und lässt versunkene Bilder auftauchen…like…
hoi max
wunderschön deine geschichten – zieht einen aus der zeit in eine andere welt . . .
freu mich auf weitere. hd