Eine unglaubliche Geschichte

In einer lauen Vollmondsommernacht sass der Gwunderi in der Lichtung beim grossen Steinkopf an der Töss, einen Servelat an einer Haselrute über der schönsten Glut seines kleinen Feuers sorgfältig auf allen Seiten knusprig bratend, als sich ein Unbekannter näherte und höflich fragte, ob er sich dazusetzen dürfe. Der Gwunderi hatte nichts dagegen einzuwenden und bot ihm die zweite Wurst an, die er in Reserve hatte. Der Unbekannte nahm dankbar an und als die beiden fertig gespeist hatten, begannen sie eine Unterhaltung, in deren Verlauf der Fremde die folgende unglaubliche Geschichte erzählte:

In einem kleinen Land am Fusse der Alpen lebte einst ein urchiger Schaffer, der nach seiner Lehrzeit als Bauer die Rechtswissenschaften studierte und in einer Chemie-Fabrik bis in die Direktionsebene aufstieg. Die Besitzer beauftragten ihn mit dem Verkauf der Firma, was ihm wegen der schlechten Wirtschaftslage die Gelegenheit bot, diese gleich selbst zu übernehmen, um die Arbeitsplätze der Mitarbeiter erhalten zu können. Dies gelang und in Zusammenarbeit mit einem unkonventionellen Bankier und Feund wurde er innert weniger Jahre zu einem der reichsten Männer des kleinen Landes.

„Und wie hat er das geschafft?“ fragte der Gwunderi, der gwunderig geworden war.

Schon als Student hatte er sich politisch engagiert und war durch seine markante Präsenz und seine ökonomische Bildung bald an der Spitze der bäuerlich nationalen Partei angelangt. Er sah weit in die Zukunft und formte seine Partei nach seiner Weltsicht. Auf den Plakatwänden verteidigte er das kleine, fleissige, reiche Land gegen faule, schmarotzende Ausländer und fremde Herrschaftsansprüche. Das liess seine Partei stetig wachsen, bis sie die traditionellen Arbeiter- und Unternehmerparteien überholt hatte und die wählerstärkste Partei des Landes geworden war. So war er zugleich Milliardär und Volkspolitiker geworden.

„Wer soviel Erfolg hat, wird auch Feinde haben und das nicht zu knapp!“ sagte der Gwunderi, der sich fragte, wie die Geschichte wohl enden würde.

Der Fremde erzählte weiter: Ja, das ist richtig. Da sind einmal die Robin Hoods, die den Reichen ihr Geld wegnehmen und es unter die Armen verteilen wollen. Dagegen hilft nur eine starke Polizei und Armee. Dann sind da die alten Mächte wie der Hochadel, die nichts hergeben wollen und die Wallstreet-Banker, die nie genug bekommen können. Dagegen hilft vor allem die eigenständige Nation, die sich von niemandem etwas vorschreiben lässt. Das seit langer Zeit bestehende Bankgeheimnis hatte die Banken des kleinen Landes zu den grössten der Welt anwachsen lassen. Die Stabilität und Verschwiegenheit dieser Banken häufte auf ihren anonymen Nummernkonten die unglaublichsten Reichtümer aus aller Welt an.

Der Rohstoffhandel, die internationalen Sportverbände, die Versicherungsindustrie, der Welthandel und die Luxusbranche hatten es sich in dem kleinen Land gemütlich gemacht. Eines schönen Tages bekam der urchige Schaffer eine Einladung an eines dieser Treffen, wo sich die Mächtigen dieser Welt unter Ausschluss der Öffentlichkeit über die Aussichten austauschten. Er erfuhr dort, dass man sein Land als Rückzugsort ausgesucht hatte, falls die bevorstehenden Entwicklungen dies nötig machen würden. Er wurde gebeten, dahingehend zu wirken, dass möglichst alles so bleibe, wie es war. Dass man steuergünstig Domizil erhalten könne und gehobene Infrastrukturen gepflegt und beschützt würden.

„Was für welche bevorstehenden Entwicklungen waren denn da gemeint?“ fragte der Gwunderi den Fremden.

Das wisse er auch nicht, sagte der Fremde und fuhr mit der Geschichte weiter: Dieses grüne Licht von ganz oben für seine national-konservative Politik gab dem urchigen Schaffer die Bestätigung, dass er immer auf dem richtigen Weg gewesen sei. Er begann noch grösser zu denken. Seine Firma hatte er schon an seine Tochter abgegeben, als er Bundesrat geworden war. Als er, wegen der Berichterstattung in der Presse und anderer Neider, die Wiederwahl verpasst hatte, begann er sich seine eigenen Medien zu schaffen. Die etablierten Medien bekamen einen Wink von ganz oben, dass seinen Aktivitäten keine Steine in den Weg gelegt werden sollten. Aufmüpfige Secondos und junge Wilde wurden durch prügelfreudige rechtsnationale Hooligans im Zaum gehalten und aufrührerische Weltverbesserer wurden als Verschwörungs-Theoretiker lächerlich gemacht.

Während rund um das kleine Land die Religionen, die Mafia, der militärisch-industrielle Komplex, die globalen Finanzmärkte, die Geheimdienste, der alte Hochadel und die jungen Informations-Technologen den Erdball ohne Rücksicht auf die Bevölkerungen umpflügten und ausbeuteten, verlegten immer mehr der Reichsten und Mächtigsten der Erde ihren Wohnsitz in das kleine Land, welches in Wohlstand und Luxus erstrahlte, wie der Christbaum an Weihnachten. Er war älter geworden, hatte sich vom Tagesgeschäft zurückgezogen und begann sich über die Nachwelt Gedanken zu machen. Er hatte viel erreicht, eigentlich alles, er war reich, er hatte recht behalten, er hatte eine wunderbare Bildersammlung und eine treue und mitdenkende Frau, erfolgreiche Kinder, was will man mehr.

„Und dann …?“ fragte der Gwunderi gwunderig.

Ja und dann habe ich einfach Lust bekommen, in dieser lauen Vollmondsommernacht zum grossen Steinkopf an die Töss zu spazieren, an ein Feuer zu sitzen und mit jemandem über alles zu reden. Und der wunderbare Servelat war dann noch das Tüpfli auf dem i.
Ha gschlosse!

4 thoughts on “Eine unglaubliche Geschichte”

  1. Lieber Max
    …der Christoph erreicht mich ganz im Westen von Australien, in Perth, da wo der Indische Ozean beginnt und ich heute Abend in diese endlose Weite geblickt habe – in die Richtung wo so viele Menschen aus ihren Heimaten auf der Flucht sind und sich nach einem besseren Leben sehnen. Soeben habe ich eine Petition von AVAAZ unterzeichnet wo wir unsere Politiker drängen wollen, dass wir JETZT 20000 Flüchtlinge aufnehmen. Unser Tony und seine Adlaten denken in den genau gleichen Spähren wie der Christoph – traurig und gschämig würde der Gwunderi vielleicht sagen – wie recht er dabei doch hat/hätte.
    Hab lieben Dank, einmal mehr, Max
    Tilo

  2. Der Schluss mit dem bescheidenen Servelat zeigt einen von Blocher stets angewendeten Trick, sich als volksnah, sprich als Volkstribun, zu geben. Das Tragische ist, dass ihm das von seinen Anhängern immer wieder geglaubt wird. Klug auch von Christoph, dass er in Toneli einen jungen Trottel gefunden und an die Parteispitze gestellt hat.
    Warum, so frage ich mich, wollen die Anhänger eigentlich die Wahrheit, wie sie uns Willy Saxer mittels Tagi-Bericht vor Augen führt, nicht wissen?
    Vermutlich geht es all denen, welche nicht stimmen gehen oder eben die SVP wählen, einfach noch zu gut in unserer vom Egoismus* geprägten Gesellschaft, welche man nicht mehr als Vorzeigedemokratie bezeichnen kann.
    *Irgend ein berühmter Mann hat einmal gesagt: „J’aime la liberté, surtout la mienne.“

    1. Hoi Röbi

      Hoffentlich hast du guten Bescheid vom Doktor bekommen und konntest deine Ausflüge geniessen.
      Es motiviert mich jedesmal, wenn jemand auf meine Geschichten reagiert. Die letzte Zeit habe ich ziemlich viel über Macht, Politik, Geld und „Kopfsalat“ gegoogelt, aber so übel die Lage auch ist, ich will nicht vergessen, dass das Leben auch schöne, faszinierende Seiten hat.
      Herzlichen Dank für deine Beiträge und alles Gute, Max

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