Des Gwunderis Prinzessin

Als die Prinzessin dem Gwunderi das erste Mal über den Weg lief, war er etwa dreizehn Jahre alt und mit dem Velo auf dem Heimweg von der Sekundarschule. Die Prinzessin war damals vielleicht drei oder vier und hüpfte mit ihren blonden Haaren in der goldenen Abendsonne über die Strasse. Er dachte, er hätte gerade einen kleinen Engel gesehen und das Bild setzte sich in allen froh gestimmten Zellen seines Gedankennetzes fest. Und da ist es bis heute geblieben.

Vielleicht ein Jahr später, er konnte mir das nicht mehr so genau sagen, traf der Gwunderi die Prinzessin zum zweiten Mal an. An der Töss, beim Toni, konnte man im Sommer wunderbar baden und danach ins Gras liegen und den vorbeiziehenden Schönwetter-Wolken zusehen. Die Prinzessin hatte inzwischen altersmässig zu ihm aufgeholt und dunkle Haare bekommen. Sie lag beim Wolkengucken neben dem Gwunderi und liess ein kleines Kind über ihren Bauch rollen. Rauf und runter, hin und her. Und auch dieses Bild wollte dem Gwunderi nicht wieder aus dem Kopf gehen.

Zwei Jahre darauf traf er die Prinzessin erneut. Sie sprach plötzlich Schaffhauser-Dialekt, war Serviertochter in Gwunderis Lieblings-Café und war ein paar Jahre älter als er. Über den Mitstift, der auch aus dem Schaffhausischen kam, besorgte sich der überaus schüchterne Gwunderi ein kleines Föteli der Prinzessin und heftete es neben seinem Bett mit einem Reissnagel an die Wand. Er war überglücklich, wenn sie ihn freundlich ansah und ihm den bestellten Zmittag-Hotdog in die Hand drückte.

Als er etwa achtzehn Jahre alt war, hatte er eine Ein-Zimmer-WG in seinem Lieblings-Café, die Prinzessin war wieder etwas jünger geworden und ihr Lippenstift schmeckte unwiderstehlich nach Veilchen oder Flieder. Als sie mit ihren Eltern in die Sommerferien fuhr, schrieb er seinen ersten Liebesbrief und bekam eine Antwort, die vieles offen liess. Und den Gwunderi hoffen liess.

Mit neunzehn mit dem Keyboarder seiner Band im hochsommerlich heissen Sizilien auf dem Campingplatz unterhalb des Ätna erschien sie für ein paar Augenblicke im Leoparden-Bikini als Tochter von deutschen Touristen. Das hatte zur Folge, dass der Gwunderi den gesamten Rest der Sommerferien tagsüber die Augen geschlossen hielt und nachts so lange sehnsüchtig in die Sterne blickte, bis es zu kalt wurde und er in seinen Schlafsack kriechen musste.

Du denkst bestimmt, jetzt reicht’s dann mit den ewigen Verwandlungskünsten. Weit gefehlt. Es gibt noch viel, viel mehr zu berichten.

Der Gwunderi hat sich selbst nie für einen Prinzen gehalten und auch sonst keine Prinzen angetroffen. Und trotzdem hat er sein Leben lang nach der Prinzessin Ausschau gehalten. Vielleicht war das ein Fehler. Vielleicht hatte er zu viele Bücher gelesen und zuviele Filme gesehen. Wie dem auch sei, gegen seine Gefühle ist der Mensch machtlos, auch wenn sie sich an den Realitäten vorbei im eigenen Irrgarten verlaufen.

Erstaunlicherweise gab die Prinzessin niemals auf. In unregelmässigen Abständen versuchte sie in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen den Gwunderi zur Vernunft zu bringen. Dazwischen fühlte er sich oft sehr einsam. Einmal, nach einer wunderbaren ersten Nacht mit der Prinzessin, war er unendlich glücklich und traurig zur gleichen Zeit. Schöner konnte es unmöglich werden. Also musste es weniger schön werden. Also besser allein bleiben? Oder gemeinsam ein anderes Glück finden?

Wenn du ein bisschen etwas von den Menschen verstehst, fragst du dich jetzt sicher, ob dem Gwunderi nie in den Sinn gekommen ist, seiner Prinzessin das Diadem vom Köpfchen zu nehmen und ihm das Sternenkleidchen auszuziehen. Als ich ihn darauf angesprochen habe, konnte er mir diese Frage nicht beantworten. Er meinte nur, dass es vielleicht die falsche Entscheidung gewesen war, als er beschloss, sich kurz vor der Geburt doch noch umzudrehen und mit dem Kopf voran in diese Welt zu kommen.

Diese Entscheidung hat viele Tränen und auch viel Glück gebracht und wie sagt der Fussballer beim Interview nach dem Spiel immer und jedesmal: „Wir müssen vorwärts schauen!“. Und wenn er verloren hat, sagt er auch noch: „Analysieren“. Und was mache ich denn gerade anderes, wenn ich des Gwunderis Prinzessin nachsinne?

Die Prinzessin hat alles gegeben: Sie hat ihm Vertrauen geschenkt, sie hat ihm Kinder geschenkt, sie hat ihm Freude geschenkt, sie hat ihn geliebt. Und was hat sie dafür bekommen? Bewunderung, Verständnis, Vertrautheit, Zuverlässigkeit, Vernunft und andere langweilige Dinge. Hart aber fair. Der Gwunderi hat verloren. Er hat mich gebeten auszurichten, dass er sich bei allen entschuldigt, die durch ihn zu leiden hatten.

Die Prinzessin darf sich jetzt für hundert Jahre hinter das undurchdringliche Rosengestrüpp zurückziehen und ausschlafen. Und wenn sie Lust hat, darf sie auch vom Prinzen träumen, aber nur solange, bis sie wieder aufgewacht ist.

2 thoughts on “Des Gwunderis Prinzessin”

  1. Lieber Max, eine schöne Geschichte und zwar nicht im Sinne einer schönen Bescherung gemeint, sondern als wirkliches Kompliment, poetisch, wunderbar, danke.

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