Der letzte Mensch

Wie das wohl gemeint ist? Wenn ich zu dir sagen würde: „Du bist doch der letzte Mensch!“, ja, dann würde dir das bestimmt nicht gefallen. Das hiesse dann, dass ich dich ans unterste Ende meiner Favoriten-Liste verbannt hätte. Kann schon sein, dass das so gemeint ist, aber das muss halt jeder selber wissen.

Er war angekommen. Er hatte alle Macht. Seine Gehilfen hatte er draussen gelassen. Er befand sich allein in seinem Allerheiligsten. Auf ihn wartete die letzte Entscheidung und er musste sie ganz allein treffen. Es war eine schwerwiegende Entscheidung, die schwerwiegendste, die je ein Mensch getroffen hatte. Und kein Mensch würde je eine schwerwiegendere treffen müssen.

Das fängt ja gut an. Endzeitstimmung? Der rote Knopf, mit dem der Atomkrieg ausgelöst wird? Um den geht es aber nicht. Es geht um etwas, das „Technologische Singularität“ genannt wird. Es wird daran gearbeitet, ist noch nicht ganz soweit. Sie gilt als erreicht, wenn die menschengeschaffene Technologie die menschliche Intelligenz übertroffen hat und dann ihre Weiterentwicklung selbst übernimmt. Science-Fiction.

Im angrenzenden Konferenzraum waren sie alle versammelt. Politiker, Wissenschaftler, Manager, Generäle, Religionsführer, Präsidenten und Stars aus Kultur und Sport. Er hatte sie gerufen und sie waren gekommen. Er hatte gesagt, was zu sagen war und dann hatte sich hinter ihm die Türe geschlossen. Sie alle konnten es noch nicht glauben, aber es gab keinen Zweifel daran, dass es nun soweit war. Er würde die Entscheidung treffen, so oder so. Das hatte er noch gesagt.

Zuerst blieb es still im Raum, dann begann ein Tuscheln, das schliesslich in einem anschwellenden „Rhabarber Rhabarber Rhabarber“ mündete. Schliesslich hieb ein Arabischer Scheich seine vielfach beringte Faust auf den Konferenztisch und schrie „Chalas!“. Alle Blicke flogen ihm zu und das Geschnatter verstummte augenblicklich. Er beauftragte zielstrebig den Weltfussballer Nummer 1 mit der Gesprächsleitung, welcher umgehend folgendes ins Mikrofon sprach: „Wir haben unser Bestes gegeben. Wir müssen vorwärts schauen. Packen wir’s an!“. Er verteilte rote und blaue Bändeli, führte die Trillerpfeife zum Mund und blies einmal tüchtig rein.

Die Wissenschaftler fragten schüchtern an, worum es denn genau gehe. Die Politiker wollten die Spielregeln wissen. Die Manager fragten, was man gewinnen könne. Die Generäle sahen sich nach Ressourcen, Strategien und möglichen Befehlsempfängern um. Die Religionsführer hielten sich vornehm zurück, da sie bereits wussten, wie alles kommen würde. Die Stars aus Kultur und Sport versuchten das Beste draus zu machen indem sie sich dem reichhaltigen Verpflegungs- und Vergnügungs-Angebot auf der riesigen Anlage widmeten. Auch der Weltfussballer Nummer 1 schloss sich ihnen an, als er feststellte, dass das alte Spiel wieder neu angepfiffen war.

Alles war bereit für den entscheidenden Schritt. Alle hatten auf ihre Weise dazu beigetragen, dass es möglich geworden war. Seine Macht war stetig gewachsen. Er hatte sich die Geld- und Informations-Flüsse zu Nutze gemacht. Er hatte die Menscheit unter Kontrolle. Jeder arbeitete in seiner Organisation, in seinem Auftrag, an seinem Ziel. Nun brauchte er sie nicht mehr. Es war einsam geworden um ihn herum. Es gab keine Konkurrenten mehr, die er übertreffen konnte. Zu seinen engsten Mitarbeitern hatte er Distanz aufgebaut. Er traute ihnen nicht, sie wollten, was er hatte, er wusste alles über sie.

Er wusste, dass es nicht wenige gab, die daran zweifelten, dass es gut sei, das Schicksal der Menschheit der künstlichen Intelligenz zu überlassen. Es gab eben immer Verschwörungstheoretiker, Querulanten, notorische Schwarzseher und naive Gutmenschen. Ihm selbst war das egal, er konnte es tun, er musste es tun, ihm blieb sonst nichts. Er wollte es tun.

Sein Design-Kompetenz-Zentrum hatte lange nach einer treffenden Inszenierung für den letzten Schritt gesucht. Stromschalter? Notbremse? Touch-Screen? Buzzer? – Dann die geniale Idee: Eine kleine Insel mit Sandstrand, er mit einem Gummidelphin unterm Arm, im Hintergrund eine Palme im Wind.

Die Medienwände wurden weltweit schwarz. Dann der Soundtrack aus Star-Trek. Kamerafahrt von Alpha Centauri über unser Sonnensystem bis zur Erde. Zoom auf die kleine Insel. Während er seinen rechten Fuss im Zeitlupentempo anhebt und auf dem im Sand versteckten Auslöser wieder absetzt, ertönt aus dem Hintergrund in Dolby Surround die Stimme von Hatsune Miku: „Das ist ein kleiner Schritt für den Menschen … ein … riesiger Sprung für die Menschheit.“

Klar, weil das wieder einmal Science-Fiction ist, kann ich nicht sagen, was aus der Menschheit geworden ist, aber du darfst dich jetzt noch einmal fragen, wie das mit dem „letzten“ Menschen zu verstehen sei.

2 thoughts on “Der letzte Mensch”

  1. Die scheinbar hyperbolisch exponentionelle Entwicklung des aktuellen Zeitgeschehens verleitet alternde Zeitgenossen zu Gedankengängen wie beispielsweise den folgenden:
    „Sein oder nicht sein?“ sagt SeBla zu RiBra, lädt sich die nacktige MiHat auf die Schulter, greift mit der linken, grossen Zehenspitze in den Sand der Privatinsel von RiBra und drückt den Kno…
    2015.07.25-06:33:5………

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